Sozialversicherung

Sonderregeln für deutsche Arbeitnehmer in Spanien

Für den deutschen Arbeitnehmer oder Selbstständigen, der in Spanien nicht nur seinen Urlaub verbringt, sondern auch für längere Zeit beruflich tätig sein möchte, stellt sich die Frage, welchem Sozial­versicherungsrecht er unterliegt.

Seit dem Beitritt Spaniens zur Europäischen Wirtschafts­gemein­schaft zum 1. Januar 1986 stellen Gemeinschafts­ver­ordnungen über die soziale Sicherheit die maßgebliche Rechts­grundlage für Fragen der Sozialversicherung von in Spanien tätigen EG-Ausländern dar.

Art. 51 des EG-Vertrages vom Februar 1992 und vom 2. Oktober 1997 enthält eine Ermächtigungsnorm zugunsten der Gemeinschaft, im Wege von Verordnungen und Richtlinien ein gemeinschaftsrechtliches System der sozialen Sicherung zu schaffen, um die Freizügigkeit innerhalb der EG und damit die Mobilität der Arbeitnehmer zu stärken. Durch die Verordnungen wird die Zusammenrechnung von nach verschiedenen Rechts­ordnungen erworbenen Zeiten für den Erwerb und die Aufrecht­erhaltung des Leistungsanspruches, sowie die Auszahlung an Personen, die nicht am Beschäftigungsort, sondern in einem anderen Mitgliedsstaat wohnen, gewährleistet.

Zugleich legen die Verordnungen fest, welche jeweils innerstaatliche Rechtsordnung auf einen Fall anzuwenden ist, in dem zwei oder mehr Mitglied­staaten betroffen sind. Dabei wird jedoch für die betroffenen Leistungsempfänger kein einheitlicher Leistungs­anspruch aus den Versicherungs­verhältnissen in mehreren Mitgliedstaaten ge­schaffen, da die Gemeinschaft selbst nicht über Sozial­leistungs­träger verfügt. Vielmehr sind weiterhin die jeweiligen nationalen Leistungsträger für die Feststellung des Vorliegens der Leistungs­voraussetzungen, sowie der Leistungshöhe und -gewährung zuständig.

Die Frage, ob eine von deutschen Staatsangehörigen in Spanien ausgeübte Beschäftigung den deutschen oder spanischen Rechts­vorschriften über die Versicherungspflicht unterliegt, beurteilt sich grundsätzlich nach den EG-Verordnungen Nr. 1408/71 und der dazugehörigen Durchführungsverordnung 574/72, die durch viele spätere Verordnungen abgeändert worden ist.

Geltungsbereich der Verordnungen

Mit dem Zeitpunkt des Beitritts Spaniens zur Europäischen Gemeinschaft ist das bisherige bilaterale Sozialversicherungs­abkommen in dem Umfang, in dem die EG-Verordnungen Geltung beanspruchen, unanwendbar geworden.

Leistungsansprüche nach den EG-Verordnungen können jedoch im Verhältnis zu Spanien erst ab dem 1. Januar 1986 begründet werden. Für den Erwerb der Leistungs­ansprüche, insbesondere für die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten sind auch vor dem 1. Januar 1986 erworbene Zeiten zu berücksichtigen. Für den Bezug von Leistungen vor dem oben genannten Stichtag ist jedoch hinsichtlich Grund und Höhe von Ansprüchen das jeweils bis zu diesem Zeitpunkt geltende Recht, also im Verhältnis zwischen Deutschland und Spanien das Deutsch-Spanische Sozial­ver­sicherungsabkommen von 1973 maßgeblich.

Die VO 1408/71 gilt für alle Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit, d.h. Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft, Invali­dität, Alter, Arbeitsunfall und Berufskrankheit (auch Rehabilita­tions­leistungen), Arbeitslosigkeit, Tod (Leistungen an Hinterblie­bene und Sterbegeld) sowie Familienleistungen und -beihilfen (Kindergeld). Sie ist allerdings nicht anwendbar auf Sozialhilfe­leistungen, Leistungen für Behinderte und Kriegsopfer sowie Sondersysteme der Beamten und die betriebliche Zusatz­versorgung.

Die Verordnungen finden Anwendung auf Arbeitnehmer und Selbstständige, unabhängig von ihrem gewöhnlichen Aufenthalts­ort, wenn sie die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzen, bzw. als Flüchtlinge oder Staatenlose in einem Mitglied­staat wohnen. Die Anwendbarkeit erstreckt sich auch auf deren Familienmitglieder und Hinterbliebene.
Als Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Sinne der EG-Verordnungen gelten alle Personen, die in einem Sozial­versicherungssystem versichert sind. Darunter fallen aber nicht Freiberufler wie Ärzte, Anwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Seelotsen und Architekten, die in einem Sondersystem, d.h. in einem aufgrund von Landesrecht errichteten Versorgungswerk versichert sind. Unter den Arbeit­nehmerbegriff fallen auch Teilzeitbeschäftigte, Geringverdienende, Arbeitsuchende und Rentner.

Versicherungspflicht für deutsche Berufstätige

Unterliegt ein deutscher Arbeitnehmer oder Selbstständiger nach dem Dargestellten den EG-Verordnungen, so beantwortet sich die Frage, ob er nach deutschem oder spanischem Recht sozialver­sicherungspflichtig ist, ausschließlich nach dem Inhalt dieser Verordnungen.

Diese orientieren sich an dem sogenannten Gleich­stellungsprinzip. Alle Personen, auf die die Verordnungen Anwen­dung findet, haben, sofern sie innerhalb der Gemeinschaft wohnen, im Rahmen des Sozialrechts dieselben Rechte und Pflichten wie ein Staatsangehöriger ihres jeweiligen Wohnsitz­staates. Mit dem Gleichstellungsprinzip korres­pondiert das Beschäftigungslandprinzip, nachdem der Arbeit­nehmer grund­sätzlich dem gesetzlichen Sozialsystem des Landes, in dem die Beschäftigung ausgeübt wird, unterliegt. Dies gilt auch dann, wenn der Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat liegt oder arbeitsvertraglich, soweit zulässig, das Recht eines anderen Staates vereinbart wurde.

Der deutsche Arbeitnehmer unterliegt bei einem Wechsel des Beschäftigungsortes von Deutschland nach Spanien nacheinander dem Sozialversicherungsrecht des deutschen und des spanischen Staates. Dabei entscheidet das Recht des jeweiligen Beschäfti­gungsstaates autonom, ob eine Tätigkeit auch tatsächlich sozial­versicherungspflichtig ist. Dies hat zur Folge, dass dem Arbeit­nehmer letztlich unterschiedliche Ansprüche gegen mehrere natio­nale Sozialversicherungssysteme für den gleichen Versicherungs­zweig zustehen können: Eine Übertragung der einzelnen Anwart­schaften auf einen nationalen Sozial­versicherungsträger ist nicht möglich.

Es liegt auf der Hand, dass dieser "Sozialversicherungstourismus" nicht nur für die beteiligten Behörden, sondern insbesondere im Leistungsfall Schwierigkeiten mit sich bringen kann. Die Ver­ordnung sieht daher Ausnahmen von den Prinzipien in der Gestalt vor, dass bei vorübergehender Entsendung eines Arbeit­nehmers in das Ausland weiterhin die Sozialrechtsvorschriften des Ent­sendestaates anwendbar bleiben. Eine Entsendung aus Deutsch­land in einen anderen Mitgliedstaat liegt dann vor, wenn der Beschäftigungsort des Arbeitnehmers auf Veranlassung des Arbeitgebers, einem Inlandsunternehmen mit Sitz in Deutschland, in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates verlegt wird. Dies ist beispielsweise bei Montagen, Errichtung oder Wartung von Werks- oder Betriebseinrichtungen der Fall.

Zudem setzt das Vorliegen einer Entsendung im Sinne der EG-Verordnung voraus, dass die in einem anderen Mitgliedstaat, in diesem Fall Spanien, ausgeübte Beschäftigung voraussichtlich nicht länger als zwölf Monate dauert bzw., dass der betroffene Arbeitnehmer nicht lediglich eine andere Person ablösen soll, deren Entsendungszeit bereits abgelaufen ist. Wird wider Erwarten die vorgesehene Entsendungszeit von zwölf Monaten über­schritten, so gelten die Rechtsvorschriften des Entsendestaates noch für bis zu zwölf weitere Monate, wenn die zuständige Behörde des Gastlandes dafür eine Genehmigung erteilt. Diese Genehmigung ist vor Ablauf der ersten zwölf Monate zu beantragen. Werden die zusätzlich gewährten zwölf Monate nochmals überschritten, kommt fortan zwingend das Sozialver­sicherungsrecht des Gastlandes zur Anwendung.

Steht von vornherein fest, dass die Entsendung voraussichtlich die Dauer von einem Jahr überschreiten wird, kann der Arbeitgeber unter Darlegung von Gründen gemäß Art. 17 der Verordnung 1408/71 eine Ausnahmevereinbarung beantragen, um sicherzu­stellen, dass der Arbeitnehmer weiterhin dem Sozialrecht des Ent­sendestaates unterliegt. Eine solche Ausnahme­genehmigung kann in Deutschland bei dem Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) beantragt werden.

Ausnahmevereinbarungen können jedoch stets nur für alle Sozial­versicherungszweige gleichzeitig getroffen werden. Es ist also nicht möglich, beispielsweise die Krankenversicherung in einem und die Rentenversicherung in einem anderen Mitgliedstaat für die Zeit der Geltung der Ausnahmevereinbarung abzuschließen. Zwischen den Sozialversicherungsbehörden Deutschlands und Spaniens besteht eine Vereinbarung, die eine Entsendung bis maximal fünf Jahre möglich macht.

Krankenversicherung

Grundsätzlich haben Arbeitnehmer und Selbstständige Anspruch auf Sachleistungen, d.h. ärztliche und zahnärztliche Behandlung, Medikamente, Krankenhausunterbringung usw. sowie Geld­leistun­gen aus der Krankenversicherung gegenüber dem nationalen Träger, bei dem sie versichert sind. Dies ist unproblematisch gewährleistet, wenn sich der Versicherte in dem Land aufhält, in dem er auch die Krankenversicherung abgeschlossen hat, d.h. wenn er in Spanien lebt und arbeitet und bei einer spanischen Krankenversicherung versichert ist.

Liegt dagegen eine der oben bezeichneten Ausnahmen von dem Beschäftigungslandprinzip vor, d.h. der Versicherte arbeitet und hat seinen Aufenthalt vorüber­gehend in einem anderen Land als demjenigen, in dem er kranken­versichert ist, so hat er im Beschäftigungsland Anspruch auf Sach­leistungsaushilfe. Er kann damit Sachleistungen der Krankenver­sicherung des Beschäftigungsstaates in Anspruch nehmen. Dabei ist jedoch der Leistungsumfang auf die sofort erforderlichen Leistungen beschränkt, d.h. wenn sein Zustand eine unverzügliche Behandlung notwendig erscheinen lässt und eine Rückkehr in den leistungspflichtigen Staat nicht möglich ist.

Zur Inanspruchnahme der Leistungen ist ein Auslandskranken­schein nötig, den man bei seinem jeweiligen nationalen Ver­sicherungsträger erhalten kann, nähere Informationen ergeben sich aus dem Beiblatt des Auslandskrankenscheines. In Spanien kann bereits unmittelbar bei Vorlage des Auslandskrankenscheins eine Behandlung beansprucht werden. Ist ein solcher nicht vorhanden, so muss der Versicherte die Kosten der Behandlung zunächst vorstrecken, diese werden ihm dann von dem zuständigen Versicherungsträger in Deutschland ersetzt. Die Gewährung von Geldleistungen dagegen erfolgt ausschließlich durch den Versicherungsträger selbst. Dabei wird die Höhe des Anspruchs nach den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates berechnet.

Die Leistungen wegen Mutterschutz, Berufskrankheiten bzw. Arbeitsunfällen erfolgen entsprechend.

Rentenversicherung

Im Rahmen der Rentenversicherung ist insbesondere der durch die Verordnungen konkretisierte Grundsatz der Zusammen­rechnung von in verschiedenen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten relevant.

Demnach sind die in Spanien erworbenen Versicherungs­zeiten, sofern sie nach den spanischen Rechts­vorschriften anspruchsbegründend wirken, durch den deutschen Versicherungs­träger wie eigene zu berücksichtigen und bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen zugrunde zulegen. Dabei bestimmen sich Charakter und Umfang der Versicherungszeiten für die in Spanien zurückgelegten Zeiten nach spanischem Recht, die Anrechenbarkeit aber nach deutschen Rechtsvorschriften. Die gesamte Versicherungs­zeit des Arbeit­nehmers oder Selbstständigen wird, obgleich sie in mehreren nationalen Systemen erworben wurde, rechnerisch als eine Einheit zusammengefasst.

Andere Versicherungsleistungen

Sterbegeld ist als einmalige Leistung von dem jeweilig zuständigen Versicherungsträger zu leisten. Leistungen wegen Arbeitslosigkeit erfolgen jeweils in dem früheren Beschäftigungsstaat, sofern der Anspruchsteller der dortigen Arbeitsverwaltung zur Verfügung steht. Dasselbe gilt im Grundsatz für Familienleistungen und -beihilfen.

Bei Invalidität erfolgen Sachleistungen entsprechend den Leistungen der Krankenversicherung, Geldleistungen je nach der nationalen Einordnung entsprechend den Leistungen bei Krankheit oder Rentenleistungen

Versicherungspflicht bei Unanwendbarkeit der EG-Verordnung

Soweit die EG-Verordnungen entsprechend des zuvor skizzierten Geltungsbereichs nicht einschlägig sind, kann auf das Deutsch-Spanische Sozialversicherungsabkommen von 1973 zurückge­griffen werden. Dieses war jedoch bereits stark an den oben­genannten Verordnungen orientiert, so dass es den vorbezeich­neten Regelungen weitgehend entspricht. Lediglich der Zeitraum für eine Ausnahme von der Sozialversicherungspflicht im Beschäftigungsland bei Entsendung ist anders definiert. Hier gelten die Vorschriften des Entsendestaates für bis zu 24 Monaten fort. Dieser Zeitraum kann auf Antrag und mit Zustimmung der zuständigen Behörden beliebig verlängert werden.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus Auswandern nach Spanien 1.


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